Fearytale - kultur 75 - April 2011

Furcht im kalten Märchenland: Fearytale in der Brotfabrik

Eine unbestimmte Bedrohung liegt in der Luft in Fearytale, der neuen Choreographie von Karel Van?k. Es geht um Angst als Lebensgefühl, Furcht vor Verlusten, Trennungen, Einsamkeit und Tod. Ein schrilles Schreien zerreißt die Stille und bohrt sich schmerzhaft in die Ohren. Drei nackte Männer knien in der Dunkelheit auf dem Boden und schälen bedächtig Zwiebeln. Man hört das Knistern und Knacken der Schalen, die konzentrierten Bewegungen werden reflektiert von spiegelnden Folienstücken, die wie schwarze Wasserlachen erscheinen. Ein suggestives Bild für die Furcht vor der Endlichkeit der eigenen Zukunft und die Schmerzen beim Häuten der Zwiebel (Günter Grass), der Freilegung des Inneren durch die Ablösung von schützenden Erinnerungsschichten.
Es geht auch um das Schreckens- und Erlösungswort „Ewigkeit“, das der von der Schneekönigin in ihr eisiges Reich entführte kleine Junge nicht zusammenfügen kann in Andersens Märchen, das sich als „fairytale“ durch das Stück zieht. Die teuflischen Spiegelsplitter, die in der Erzählung den Menschen die Augen verblenden und ihre Herzen zu Eisklumpen erstarren lassen, werden sinnfällig in dem suggestiven Bühnenbild von Frank Chamier. Im Hintergrund hängen große halbtransparente, mit einem feinen Gespinst überzogene Gebilde, die im Lichtdesign von Markus Becker aussehen wie zersprungene Spiegelscherben oder Eisschollen und manchmal wie zerstörte Erdteile.
Die Tänzer Karel Van?k, Olaf Reinecke und Eric Trottier entwickeln auf dem angstbesetzten Spielfeld trotzig ungemein kraftvolle Szenen mit einer sehr präzisen, energiegeladenen Bewegungssprache. Sie gehen in aggressiven Duetten und Trios aufeinander los, zelebrieren in Slow-Motion Kampfsportübungen, prallen im Lauf aneinander, stürzen und verklammern sich. In schnellem Rhythmus wechseln sie von der vitalen Körperspannung zum passiven Getriebensein. Ganz kurz lässt Van?k etwas Animalisches aufscheinen, wenn er wie ein hilfloses Tier jaulend nackt und vom Scheinwerferlicht geblendet am vorderen Bühnenrand hockt.
In einer der vielen um Furcht und Schrecken kreisenden Szenen wird Reinecke von Trottier wie von einem Schatten verfolgt, versucht vergeblich, ihn abzuschütteln und wird von ihm hinterrücks zu Boden geworfen. Es geht nicht immer fair zu in dieser von Gewalt bestimmten Männerwelt, in der jeder versucht, sich selbst zu behaupten. Elektronisch verzerrte Klänge schwirren, knirschen und zirpen durch den Raum, in dem überall Gefahr lauert. Aber wie im Märchen, das Guido Preuß, der das Stück gemeinsam mit Van?k konzipiert hat, im Hintergrund herbeizitiert, finden sie am Ende zusammen, legen sich gegenseitig die Hände vor Augen und Ohren und halten sich aneinander fest. Die heißen Tränen, mit denen Andersens kleines Mädchen den Splitter aus dem Auge des Jungen wegschwemmt und sein gefrorenes Herz auftaut, lassen sie wie Kinder einen Moment lang glücklich herumtollen. Erzähler Preuß sitzt wie ein meditierender Weiser da, während Van?k eine Zwiebel kunstvoll durch beider Hände gleiten und springen lässt. Doch sie sind wie Kay und Gerda in Andersens Geschichte erwachsen geworden und deshalb dem Tod ein Stück näher gerückt. Nach dem Moment der Hoffnung fallen Schüsse.
Die Inszenierung ist trotz aller Düsternis kein traumatisierender Horrortrip, sondern hat wie jeder gute Thriller auch sehr komische Momente. Sie berührt unüberwindliche Grundängste, bleibt aber selbstironisch auf Distanz zur Banalität des Geisterbahn-Schreckens. Sehenswert eher für Erwachsene. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 70 Min., keine Pause
Im Programm bis: ?????

Donnerstag, 08.12.2011

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