Welt am Draht - Halle Beuel - kultur 105 - April 2014

Phantom-Leben

Phantom-Leben


Vollmer ist tot und Lause plötzlich spurlos verschwunden. Irgendwas scheint nicht ganz nach Plan zu laufen im Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung, in dem Fred Stiller nun die Aufsicht hat über knapp 10.000 „Identitätseinheiten“. Eine ganze vom Super-Computer „Simulacron-1“ erschaffene Kleinstadt also – voller Wesen, die wie echte Menschen denken und agieren. Jederzeit per Knopfdruck zu löschen. Auf großen Bildschirmen werden ihre Codes kontrolliert, Kameras verfolgen auch die Steuergruppe dieser merkwürdig aseptischen Spiegel-Welt mit Sicherheitsschleusen und einer doppelstöckigen Stahlkonstruktion, von der aus die Wissenschaftler ihre Geschöpfe beobachten und sich selbst für wirklich halten. Vollmer und Lause wussten mehr und mussten verschwinden.
Es ist schon erstaunlich, wie Rainer Werner Fassbinder (1945 – 1982) vor 40 Jahren das vorwegdachte, was im 21. Jahrhundert hochaktuell ist: Technische Simulation und Manipulation von menschlichem Verhalten, elektronische Dauer-Überwachung, künstliche Intelligenz, Forschung im Dienst der Wirtschaft. Die Inszenierung des Hausregie-Teams Mirja Biel und Joerg Zboralski (Regie und Bühnenbild) nimmt die artifizielle Ästhetik von Fassbinders 1973 erstmals ausgestrahltem TV-Zweiteiler auf und überträgt den vierstündigen futuristischen Thriller in eine eigenständige Bühnensprache. Die filmische Erzählweise wird herbeizitiert in den Videos von Krzysztof Honowski, die Musik von Jimi Siebels klingt nach großem Kino, in den Kostümen von Petra Winterer überlagern sich die Mode der 1970er Jahre und der Gegenwart. Auf Rollschuhen im Roboterlook saust Julia Keiling als allgegenwärtige Uschi durch die Szenerie, die so merkwürdig künstlich wirkt wie die gelegentlich sehr exaltierte Spielweise.
Hervorragend gibt Daniel Breitfelder den Institutsleiter Fred Stiller. Ein eleganter Womanizer und ein nachdenklicher Intellektueller, der allmählich den Boden unter den Füßen und den Verstand verliert. Gegen Ende wird er in den spiegelglatten Swimmingpool springen und sich vergewissern, dass das Wasser wenigstens echt ist. Oder auch nur eine Simulation? Descartes‘ „Cogito, ergo sum“ schreibt er auf den Bühnenboden, aber der bekannte Satz ist aufgehoben: Ich denke, also bin ich – nicht.
Andrej Kaminsky macht den korrupten Chef Siskins zur Karikatur, Robert Höller gibt Stillers Assistenten Walfang als skurrilen Computer-Nerd, Hajo Tuschy spielt den verschrobenen Psychologen Hahn und den aalglatten Staatssekretär von Weinlaub, Samuel Braun u.a. den sensationsgierigen Journalisten Rupp. Mareike Hein ist als Sekretärin Gloria Fromm sehr blond und sexy. Ziemlich undurchsichtig geistert Laura Sundermann als attraktive Eva Vollmer, Tochter von Stillers Vorgänger, durch die Geschichte. Unter ihrer rötlichen Bubikopf-Frisur verbirgt sich freilich ein scharfer Verstand. Im schwarzen Straßenkreuzer bringt sie Stillers Gehirnwindungen in Wallung, irgendwann wird er in der gelben Telefonzelle am anderen Bühnenrand nach Hilfe suchen. Während eine übergeordnete Steuer­einheit belus­tigt seine Verwirrung betrachtet. Denn Stiller ist nur eine programmierte Projektion aus einer anderen Wirklichkeit.
Auf seine Erschießung folgt dennoch ein romantisches Happy End. Wie neu geboren tauchen Stiller und Eva nackt und selig in einem Schwimmbecken herum. Ein eingespielter Film nur, lang und so irreal wie die ganze Aufführung, die die Frage nach der virtuellen Wirklichkeit und der Möglichkeit von persönlichem Selbstbewusstsein durchaus dringlich stellt. Und recht spannend unsere Ur-Angst davor formuliert, nur ferngesteuerte Modelle in einer riesigen Simulation zu sein. In der Menschen sich wie Gott Ebenbilder schaffen und sie als Marionetten-Theater betrachten. Keine schöne Vorstellung, aber gewiss sehenswert. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden, keine Pause
die nächsten Termine:
3.04. // 6.04. // 8.04. // 11.04. // 16.04. // 27.04. // 2.05. // 4.05. // 10.05.

Mittwoch, 17.09.2014

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