Buddenbrooks - Kammerspiele - kultur 131 - Dezember 216

Buddenbrooks
Foto: Thilo Beu
Buddenbrooks
Foto: Thilo Beu

Großartiges Spiel um Wertverlust und
New ­Economy

yMan wiegt sich im Walzertakt im großen Ballsaal und feiert Feste im frisch erworbenen ­historischen Haus der Buddenbrooks an der Mengstraße. Die Herren tragen Frack und Zylinder, die Damen prächtige Kleider (Bühne und Kostüme: Sabine Kohlstedt). Alles ist von ausgesuchter Qualität, aber natürlich bürgerlich bescheiden. Man gehört schließlich zu der Klasse, die nichts mit Fürsten zu tun hat, sondern es mit eigener Hände Arbeit über Generationen zu Wohlstand und Ansehen gebracht hat. Das alles wird vergehen, und jeder Literaturkenner weiß, dass der kleine Hanno später mutwillig einen symbolischen doppelten Schluss-Strich unter die Genealogie der Buddenbrooks gesetzt hat.
Vor dem Vorhang blättern sie stolz und munter im großen Familienbuch: Thomas, Antonie und Christian. Wohlerzogene Sprösslinge einer Lübecker Kaufmannsfamilie. John von Düffels 2005 am Hamburger Thalia-Theater uraufgeführte und seitdem vielfach nachgespielte Bühnenfassung von Thomas Manns Roman Buddenbrooks konzentriert sich auf das Geschwister-Trio und verzichtet auf etliche Nebenhandlungen. Die neue Inszenierung in den Bonner Kammerspielen erzählt die Geschichte vom Verfall einer Familie als Tanz in den Untergang. Die Regisseurin Sandra Strunz bringt zusammen mit der Choreographin Lisi Estaras die Figuren in Bewegung, wobei neben den Schauspielern noch zehn Tänzerinnen und Tänzer das Gesellschaftspanorama anreichern.
Häufig sind es nur kleine leitmotivische Schritte und Gesten, die neben der Klangspur der beiden fabelhaften Live-Musiker Karsten und Rainer Süßmilch die Brüchigkeit dieser heilen Welt aufscheinen lassen. Dem großen Ensemble gelingt es dabei perfekt, Manns ironischen Erzählton körperlich sichtbar zu machen, ohne die sprachlichen Feinheiten zu vernachlässigen. Sie reden die Dialoge des Romans, jedoch zunehmend nach vorn zum Publikum, als müssten sie eine Haltung demonstrieren, die sie nur noch als Zitat beherrschen. „Denn wir sind nicht lose, unabhängige und für sich bestehende Einzelwesen, sondern wie Glieder einer Kette“, hat der Konsul Jean seiner Tochter Tony eingeschärft, um sie zur Heirat mit dem Hamburger Kaufmann Grünlich zu nötigen. Womit er genau die Kette zerbrach, die von den neuen Wirtschaftssystemen indes sowieso schon aufgelöst wird.
Wilhelm Eilers brilliert als wertkonservativer Patriarch, der mit väterlicher Sorgfalt das Familienvermögen zusammenhält, die lautstarken Revolutionäre von 1848 jovial auf Plattdeutsch abwimmelt und im besten Alter einem Herzinfarkt erliegt. Ursula Grossenbacher ist die Konsulin Bethsy, die fast automatisch alles ins Französische übersetzt und leicht degoutiert sogar Bier servieren lässt für Herr Permaneder, dem Töchterchen Tony in München ihr Herz geschenkt hat. Matthias Breitenbach hat einen jodelnden Auftritt als bayerische Frohnatur, ist aber vorher ein echter Abräumer als komischer Grünlich, der sich mit geschmacklos kariertem Outfit und peinlichem Pathos in die besseren Kreise hochmogelt. Bis der quecksilbrige Bankier Kesselmeyer (Philipp Basener, der auch als ehrlicher Medizinstudent Morten und als sich selbst bedienender Kellner im Hause Buddenbrook überzeugt) ihn als Betrüger entlarvt und Tony, vom brutalen Ehejoch befreit, wieder im Schoß der Familie landet. Johanna Falckner spielt hinreißend die naiv traditionsverwachsene Frau, die sanft verblüht, während ihr großer Bruder sich für den Betrieb abrackert.
Mit geradezu wahnsinniger Intensität spielt Glenn Goltz den nüchternen Thomas, der durch eisernen Fleiß und rigorose Tatkraft zum Senator aufsteigt. Mechanisch unterwürfig ahmt er die Gesten seines Vaters nach und rennt in Siegerpose herum, bis er ins Taumeln gerät und erschöpft an seinem Ehrgeiz verbrennt. Der erfolgreiche Tom verwandelt sich in eine Menschmaschine, die hektisch immer gleiche Bewegungen vollführt und an der gesellschaftlichen Maskerade zerbricht. Das Gegenbild liefert spielerisch grandios Alois Reinhardt als verlotterter, hypochondrischer Bohemien Christian. Ein haltloser eitler Outsider, dessen verwilderte Kreativität sich in Clownerien entlädt, die den guten Ruf der Firma beschädigen.
Ganz am Rand verabschiedet sich Thomas pflichtgemäß von dem geliebten Blumenmädchen Anna (Lara Waldow), um seinem Stand entsprechend die bildschöne Amsterdamer Großbürger-Tochter Gerda zu ehelichen. Lydia Stäubli gibt diese faszinierende Fremde, die mit dem sensiblen Söhnchen Hanno (Daniel Gawilowski) gespenstische Nachtkonzerte zelebriert. Tony überredet Tom gegen dessen Prinzipien zu einem wirtschaftlichen Abenteuer. Die günstig „auf dem Halm“ gekaufte mecklenburgische Getreide-Ernte wird zum verhagelten Albtraum mit den theaterüblichen Videos und Endzeitfantasien. Endlich steht die arme Verwandte Klothilde auf, die bis dahin als stumme Beobachterin an der Balustrade hockte, und gibt ihren Textsenf dazu. Lena Geyer im Pop-Outfit sieht ein bisschen so aus wie Carolin Kebekus, rappt mit einem im Programmheft extra ausgewiesenen Wut-Monolog des jungen Autors Wilke Weermann gegen Ressourcen-Verbrauch, Freihandel, Kapitalismus und den ganzen destruktiven Rest. Der plakative dramaturgische Bruch muss halt sein, während die Bühne abgeräumt und die Nebelmaschine hochgefahren wird. Und alle bis auf die Unterwäsche entkleidet im Netz zappeln, wo alles auf Funktionen reduziert ist.
Das ist ganz nett, bringt aber wenig geistigen Mehrwert in die ansonsten hervorragende Aufführung mit ihrem köstlich feingeschliffenen Weltschmerz, bei dem das Bonner Schauspiel-Ensemble seine hohe Qualität beweist. Langer herzlicher Premieren-Beifall. E.E.-K.

Spieldauer ca. 3 Std. inkl. einer Pause
Die nächsten Vorstellungen:
2.12. ? 10.12. ? 28.12.16 ? 15.01. ? 20.01.17

Donnerstag, 19.01.2017

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Letzte Aktualisierung: 24.04.2024 12:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn