Echnaton - Oper Bonn - kultur 145 - April 2018

Echnaton
Foto: Thilo Beu
Echnaton
Foto: Thilo Beu

Scheiternde Utopie – faszinierend gegenwärtig

Regisseurin und Choreografin Laura Scozzi hat die Geschichte des Pharaos, der um die Mitte des 14. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung Ägypten regierte, mit einer zweiten Handlungsebene verknüpft. Eine ziemlich rüpelige Schulklasse („Fack ju Göhte“ lässt grüßen) hängt da gelangweilt auf der Bühne rum und interessiert sich absolut nicht für das, was der Lehrer erzählt. Amenophis IV., der sich den Namen Echnaton gab und Aton in Gestalt der Sonnenscheibe zum alleinigen Gott seines Reiches erhob? Der die neue Hauptstadt Achetaton gründete, die bald von seinen Nachfolgern vernichtet wurde, die den alten Amun-Kult wieder einführten? Ist doch der Generation Whatsapp sowas von egal! Nur die kleine Marie (verkörpert von der Tänzerin Katharina Platz) ist zunehmend fasziniert von dem frühen Aufklärer, der konsequent eine Idee verfolgte.
Echnaton ist die letzte der drei „Porträtopern“, in denen Philip Glass (*1937) sich mit his­torischen Figuren befasste. Voraus gingen Einstein on the Beach und die Gandhi-Oper Satyagraha. Scozzi erzählt die Geschichte also aus heutiger Sicht und hat dabei auch einen im Stück selbst liegenden Grund: In einer der letzten Szenen führt der Sprecher heutige Touristen durch die Ruinen von Amarna, wo einst Echnatons neue Tempel standen. Der eigentliche Grund: Sie will zeigen, wie aus dem friedlichen Monotheismus religiöser Fanatismus entsteht und in Gewalt umschlägt.
Zur ruhig fließenden minimalistischen Musik von Glass passiert hier also dramatisch eine Menge. Der musikalische Leiter Stephan Zilias lässt die um sich selbst kreisenden Töne schwingen, harmonisch subtil changieren, aufbrausen und in sich zusammenfallen. Das Beethoven Orchester meistert alles bravourös. Bekanntlich fielen bei der Uraufführung 1984 in Stuttgart die Violinen dem reduzierten Orches­tergraben zum Opfer. Es gibt also nur tiefe Streicher, was die Klangatmosphäre verdüstert. Bläser und Schlagzeuger müssen dafür aber umso konzentrierter agieren.
Eine Hauptrolle spielt zudem der großartige Opernchor, verstärkt durch den Extrachor, einstudiert von Marco Medved. Vermutlich wird kein Zuhörer merken, ob sie auf Altägyptisch, Akkadisch oder Aramäisch singen. Glass hat etliche historische Textdokumente verwendet. Die Sänger erledigen die schwierige phonetische Aufgabe vorzüglich. Durch die Handlung führt auf Deutsch der Lehrer. In der Sprechrolle gastiert der Schauspieler Thomas Dehler. Die didaktische Klassenzimmer-Situation bricht auf, wenn sich auf der Bühne von Natacha Le Guen de Kerneizon die hohen Wände verschieben und durch den geöffneten Sarkophag die Figuren der Vergangenheit in weißen Gewändern (Kostüme: Fanny Brouste) hereinströmen. Vorher sind fröhlich lachend Kinder herumgesaust: der Prinz und seine spätere Gemahlin Nofretete, der unbeschwerten Jugendzeit bald entrissen durch ihre Herrscher-Pflichten. Amenophis III. ist tot, das junge Paar wird feierlich gekrönt.
Einige Male hebt sich die Bühne und gibt den Blick in die Grabkammern frei, wobei die Wandmalereien eher wie Graffiti erscheinen. Echnaton führt Marie in seine Unterwelt. Der junge Countertenor Benno Schachtner verkörpert mit fabelhaftem spielerischem und sängerischem Elan den für das Himmelslicht entflammten Pharao. Geradezu überirdisch klingt seine androgyne Stimme bei dem zentralen Sonnenhymnus, den er hoch oben in einem Fenster seines Tempels singt. Auf dessen Mauern projiziert werden Fassaden von Synagogen, Kirchen, Moscheen, und die Jugendlichen schreiben religiöse Kampfparolen an die Wand. Bei der Premiere einen Szenenapplaus bekam der Sprayer (Robin Brune), der die Parolen mit einer weißen Friedenstaube übermalte.
Als Nofretete glänzt das langjährige Bonner Ensemblemitglied Susanne Blattert, als Echnatons Mutter Teje die Sopranistin Marie Heeschen. Aus dem Ensemble besetzt sind auch die kleineren Partien: Giorgos Kanaris (Haremhab), Martin Tzonev (Ajeh) und Johannes Mertes (Hohepriester des Amun). Sie vertreten das alte System, das Echnaton mit seiner neuen Weltsicht umstürzen wollte. Brutalitäten bleiben dabei nicht aus. Ein Gastmahl wird zum Fanal, Bücher werden verbrannt, Mauern stürzen ein. In einer heutigen Wohnküche zelebriert Echnaton mit seinen Frauen und Töchtern ein harmonisches Familienleben, während an den Grenzen seines Reiches Kriege toben. Ein spiritueller Revolutionär, als politischer Führer völlig unfähig. Ob er tatsächlich ermordet wurde, wissen wir nicht.
Marie jedenfalls wird nach einem Reinigungsritual eine glühende Anhängerin seiner Utopien und verfällt ihm total. Vielleicht stirbt sie bei der Geburt ihres Kindes, wahrscheinlicher ist, dass sie sich mit einer Bombe unter dem weißen Gewand selbst in die Luft sprengt. Die Rabauken-Kids, eine tolle Truppe aus professionellen jungen Tänzerinnen und Tänzern mit Breakdance- und Hiphopmomenten, sind am Ende still geworden. Anscheinend haben sie etwas begriffen von der Macht der Mythen und der Gefahr radikaler Utopien. Zutiefst berührend ist die lange Schluss-Szene, in der Menschen aus aller Herren Länder Blumen und Lichter am Grab der Träumer niederlegen (ein Sonderlob verdient Gyda Löcher, Leiterin der Statisterie).
Laura Scozzi ist es mit überwältigender Fantasie gelungen, Vergangenheit und Gegenwart zu verschmelzen und dem statischen Geschehen der Oper bewegtes Leben einzuhauchen. Ein echtes Ereignis und unbedingt sehens- und hörenswert! E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 ½ Stunden, inkl. Pause
Die nächsten Vorstellungen:
12.04. // 21.04. // 29.04. // 9.05. // 13.05. //
31.05. // 14.06. // 20.06. // 28.06.18

Donnerstag, 06.12.2018

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