Pleschinski, Hans: Wiesenstein

Wiesenstein
Foto: C. H. Beck
Wiesenstein
Foto: C. H. Beck

kultur 149 - Oktober 2018

Es ist eine Hommage an Gerhart Hauptmann, den Dichter Schlesiens, Nobelpreisträger und weltberühmt in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Während des Dritten Reiches war er „der“ deutsche Dichter. Er lebte wie ein Fürst auf seinem Anwesen „Wiesenstein“ in Agnetendorf unterhalb der Schneekoppe am Fuße des Riesengebirges. Heute kennt man ihn kaum noch, es sei denn, die Weber werden in der Schule gelesen oder Rose Bernd wird im Theater gegeben. Den „Wiesenstein“ gibt es noch. Ich war vor wenigen Jahren dort und habe ihn besichtigt.
Dieses Buch beginnt 1945, als Millionen Deutsche sich auf den Weg machten von Ost nach West. Ostpreußen war schon leer, aber es geht hier um Schlesien. Oder geht es doch nur um den Dichter Gerhart Hauptmann? Dieser fährt als schwacher, kranker Greis heimwärts, entgegen dem Strom von West nach Ost, denn er war gerade zur Erholung in Dresden gewesen, als die Stadt im Bomben-Inferno unterging. Und wo sollte er hin mit Frau und Personal, wenn nicht nach Hause, also nach Osten? Pleschinski erzählt auch von der Flucht, er berichtet von allem Grausamen, von allen nicht mehr vorstellbaren Schrecknissen der letzten Kriegsmonate. Er schreibt keinen Roman, er berichtet „cool“, würde man heute sagen, doch umso eindringlicher, und obwohl wir es schon hundertemale gelesen haben in den vergangenen 70 Jahren, schreibt er so, als wäre es gerade gewesen und er habe es selbst erlebt. Zwischendurch erscheint immer wieder die Traumwelt des Dichters: Teile seines Werkes, Erinnerungen, Begegnungen mit der Vergangenheit, Beschreibungen der untergehenden Welt, der man sich gerne entziehen möchte, und ihr doch hilflos ausgeliefert ist. Der Verlag nennt das Buch im Klappentext einen überwältigenden Roman. Überwältigend unterschreibe ich bedingungslos, so überwältigend, dass ich immer mal Pausen einlegen musste, aber Roman? Eher ein Zeitgemälde? Eine Hommage? Die Lebensgeschichte eines Deutschen, der zuerst Schlesier war, dem sein Land und seine Heimat unwiederbringlich zerstört und genommen wurde? Er starb 1946, aber es wurde nicht gestattet, dass er daheim begraben wurde.


Hans Pleschinski
Wiesenstein
C. H. Beck, 1/2018,
552 Seiten, gebunden, 24,00 €

Donnerstag, 17.01.2019

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 29.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn