Eines langen Tages Reise in die Nacht - Schauspielhaus - kultur 153 - Februar 2019

Eines langen Tages Reise in die Nacht
Foto: Thilo Beu
Eines langen Tages Reise in die Nacht
Foto: Thilo Beu

Kein Zuhause in der Welt

Sie spielen Familie. Ein richtiges Zuhause haben sie nicht. Im Bühnenbild von Sebastian Hannak gibt es kein Sommerhaus am Meer und kein Wohnzimmer. Nur eine fast leere Bühne, auf allen Seiten umgeben von roten Samtvorhängen. Zwischen den vier Akten von Eugene O’Neills amerikanischem Familiendrama Eines langen Tages Reise in die Nacht schließen sie sich für die kleinen Zeitsprünge zwischen Morgen und Mitternacht. Für die Schauspielerfamilie Tyrone bedeutet der Parkettboden der Bühne die Welt. Ein Draußen gibt es nur für den Nachschub von Alkohol und Morphium.
Regisseur Martin Nimz (es ist bereits seine sechste Inszenierung in Bonn) lässt die Personen oft in großer Distanz voneinander agieren. Der Kontrast zwischen Entfernung und Intimität wird verstärkt durch die minimale Verfremdung der Stimmen per Mikroport, ansonsten setzt die Aufführung in der modernen Übersetzung von Michael Walter auf sprachliche Genauigkeit und vor allem auf das exzellente fünfköpfige Schauspielerensemble. Ein paar Kalauer – sogar Bonn kommt vor – stören nicht sonderlich; der unverzichtbare Nebel steht in O’Neills 1940 verfasstem, 1956 posthum in Stockholm uraufgeführtem Stück. Nicht ganz zufällig in der schwedischen Hauptstadt, denn der Literatur-Nobelpreisträger (1936) verdankte den großen skandinavischen Dramatikern Ibsen und Strindberg seine psychologisch-realistische Schreibweise und vermachte seinen Nachlass dem Stockholmer „Dramaten“-Theater. Eigentlich hatte Eugene O’Neill (1888 – 1953) verfügt, dass das „mit Blut und Tränen“ geschriebene, stark autobiografisch geprägte düstere Drama erst 25 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht werden dürfe. Seine Witwe gab es schon viel früher frei. Vor zehn Jahren war das Werk in einer Inszenierung von Ingo Berk in der Halle Beuel zu erleben, manche erinnern sich auch noch an das schwedische Gastspiel bei der Bonner Biennale 1992 mit Lars Noréns Und gib uns die Schatten, das O’Neills Lebenstragödie thematisiert.
Im Schauspielhaus am Bad Godesberger Theaterplatz verkörpert nun Wolfgang Rüter perfekt den alten Patriarchen James Tyrone, der dem vergangenen Bühnenglanz nachträumt, gern Shakespeare zitiert und zwischen Geiz und Selbstbetrug lamentierend seine Familie tyrannisiert. Als einstiger Bühnenstar mit einem kalkulierten Zug ins Melodramatische. Manchmal entlockt er einem Kontrabass ein paar Klänge, und auch die anderen greifen gelegentlich zu Streichinstrumenten. Die Musik bleibt ansonsten aber diskret zugunsten der feinen psychologischen Zwischentöne.
Die fabelhafte Sophie Basse spielt mit weißer Perücke James‘ Gattin Mary. Vorzeitig gealtert, morphiumsüchtig (angeblich wegen ärztlicher Fehler bei der schweren Geburt ihres jüngsten Sohnes Edmund), mal ­hysterisch aufgekratzt, dann wieder versunken in Trauer um ihren mit zwei Jahren verstorbenen mittleren Sohn Eugene (!), im Drogenrausch völlig neben sich stehend und schließlich ein halbnacktes menschliches Wrack (Kos­­tüme: Jutta Kreischer), das verzweifelt um Zuwendung bettelt. Sören Wunderlich gibt überzeugend den verlotterten ältesten Sohn Jamie, der seine Gagen mit Whiskey und Weibern vernichtet und in der Familienhölle hoffnungslos feststeckt.
Einen Hoffnungsschimmer zwischen den selbstverliebten Wirklichkeitsverweigerern liefert der junge Gustav Schmidt (seit dieser Spielzeit fest in Bonn engagiert) in der Rolle des todkranken Edmund. Alle tun seine Schwindsucht (O’Neill litt jahrelang an Tuberkulose) als harmlose Sommergrippe ab, er weiß es besser. Und er kämpft um sein echtes Leben. Sturzbesoffen zwar, aber der große ehrliche Dialog mit seinem Vater wirkt wie ein reinigendes Fegefeuer und berührt echt. Als stocknüchternes Hausmädchen Cathleen hat das neue Ensemble-Mitglied Sandrine Zenner ein paar kleine Auftritte, die sie mit energischem Selbstbewusstsein und ironischer Empathie füllt. Denn die lange Reise in die Finsternis ist hier auch eine bitterböse Komödie.
Es gibt viele berührende Momente von Wahrheit in dem Spiel um tragische Lebenslügen und eine krachend zerbröckelnde bürgerliche Fassade. Und es ist doppelbödiges Schauspielertheater, weil sich da unbehauste Bühnenfiguren eigenwillig behaupten. Freundlicher Premieren-Applaus. E.E.-K.

Spieldauer ca. 3 Stunden,
inkl. einer Pause

Mittwoch, 31.07.2019

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