La Gioconda - konzertant im Oper Bonn - kultur 153 - Februar 2019

La Gioconda
Foto: Thilo Beu
La Gioconda
Foto: Thilo Beu

Musikalische Leidenschafts-Achterbahn

Es ist eins dieser ‚One-Hit-Wonder‘. Die Uraufführung 1876 an der Mailänder Scala war ein großer Erfolg, aber die internationale Karriere des Komponisten versandete bald. In seinem Heimatland Italien steht Ponchiellis La Gioconda regelmäßig auf den Spielplänen (Maria Callas gab als Gioconda in der Arena von Verona 1947 ihr Italien-Debüt), sonst sind Inszenierungen jedoch rar.
Dabei hat diese Oper wirklich alles, was man sich so wünschen kann: Eine spannende Story (Grundlage des Librettos von Arrigo Boito war ein Drama von Victor Hugo), als Schauplatz das feierfreudige Venedig des 17. Jahrhunderts (inkl. Glocken von San Marco), übelste Intriganten, Spione der Inquisition, einen amoralischen Herrscher, einen politisch geächteten, attraktiven Mann zwischen zwei Frauen, zärtliche Liebe und feurige Eifersucht sowie eine blinde Mutter, die als Hexe verbrannt werden soll. Und vor allem eine vielfarbige, hochdramatische Musik, die sich durchaus messen lassen kann am mittleren Verdi und am frühen Puccini, der zu Ponchiellis Schülern gehörte. Zugegeben: Die etwas krude Handlung mit all ihren Zufällen und emotionalen Verwicklungen erschließt sich allein aus den deutschen Übertiteln kaum. Man sollte sich schon ein wenig mit dem Inhalt vertraut machen, was mit den schriftlichen Einführungen für Mitglieder der Theatergemeinde ja kein Problem ist.
Eine wichtige Rolle in dem komplizierten Geschehen spielen die großen Chorszenen, inklusive solistischer Auftritte. Der Bonner Opernchor, verstärkt durch den Extra-Chor, liefert – einstudiert von Marco Medved – ein überzeugendes Beispiel seiner hervorragenden Qualität. Sie machen ein ganzes Panorama des wankelmütigen Volkes hörbar, das nach Scheiterhaufen verlangt und im nächsten Moment im Karnevalstaumel versinkt. Der junge Dirigent Hermes Helfricht, seit dieser Spielzeit Erster Kapellmeister an der Oper Bonn, hält am Pult des Beethoven Orchesters Bonn alles sorgfältig zusammen und arbeitet sehr schön die vielschichtigen musikalischen Motive heraus. Bezaubernd präsentiert das BOB im dritten Akt den Superhit der Oper: Den populären „Tanz der Stunden“ (genial für eine animalische Ballett-Parodie verwendet in Walt Disneys Zeichentrickfilm-Klassiker Fantasia), zeitweise als gesunkenes Kulturgut eingesetzt zur Werbung für Tiefkühltorten.
Kalten Zynismus spiegelt das allegorische Intermezzo tatsächlich. Während der mächtige Alvise Badoero bei einem Fest in seinem Palast Ca‘ d’Oro‘ seine Gäste damit unterhält, hat er seine Gattin Laura dazu gezwungen, ein tödliches Gift zu trinken. Dass damit nicht ihre letzte Stunde schlägt, verdankt sie ihrer Rivalin Gioconda.
Die russische Sopranistin Zoya Tsererina, die in Bonn auch schon als ­Turandot zu erleben war, singt die Titelpartie einfach makellos und betont den edlen Charakter der am Rand der Gesellschaft lebenden Künstlerin. Die Straßensängerin Gioconda liebt den aus Venedig verbannten Edelmann Enzo, dem der Tenor George Oniani höhensicheren Stimmglanz verleiht. Für Enzo ist Gioconda nur ein flüchtiges Abenteuer, denn in Wirklichkeit liebt er Laura, die gegen ihren Willen mit dem hohen Beamten Badoero verheiratet wurde. Leonard Bernad verkörpert den gefühlskalten Machthaber mit feinem Bass. Als echter Schurke Barnaba überzeugt der Bariton Ivan Krutikov. Der Inquisitionsspitzel begehrt die schöne, junge Gioconda, schreckt vor keiner Erpressung oder Denunziation zurück und wird am Ende sein Ziel doch nicht erreichen.
Weil Gioconda sich ihm verweigert, soll ihre blinde, leicht verwirrte Mutter, der Ceri Williams ihre warme Altstimme leiht, grausam im Feuer sterben. Weil die Alte mit einem Rosenkranz Lauras Herz rührt, entgeht sie den Flammen. Dshamilja Kaiser gelingt mit strahlendem Mezzosopran eine sehr berührende Interpretation der Frau, die ihrem Herzen folgt, mit ihrem geliebten Enzo einen Fluchtversuch wagt und wegen Untreue von ihrem Gatten zum Selbstmord verurteilt wird. Doch Gioconda kann ihr statt des Giftes einen Trank reichen, der sie nur in einen todesähnlichen Schlaf versetzt. Soviel Großmut und weibliche Solidarität ist schon erstaunlich nach dem grandiosen Eifersuchtsduett der beiden Protagonistinnen, das zu den Höhepunkten des Dramas gehört. Handwerklich ist Ponchiellis einzige nachhaltig fortwirkende Oper ohnehin ein Meisterwerk. Alle sechs Hauptfiguren haben leidenschaftliche Solo-Arien, wundervolle Duette und allerhand brillante Ensemble-­Nummern. Die Musik beschwört melancholische Lagunen-Lyrik, heldenhafte Schiffbrüche, Außenseiterromantik auf der Giudecca und schließlich ein moralisch fabelhaftes Finale. Gioconda entsagt ihrer großen Liebe und opfert sich für das Glück von Enzo und Laura. Ihre innig geliebte Mutter ist sowieso tot, nur die männlichen Bösewichter werden weiter straflos ihr Unwesen treiben.
Weniger plausibel als andere Opernkrimis zwischen Gefühls-Theater und Verismo ist das sicher nicht. Bei den vor dem Orchester platzierten Sängern manchmal ein bisschen zu lautstark, aber als Fest exzellenter Stimmen fraglos ein besonderes Erlebnis. Stürmischer Applaus aus dem nicht ganz ausverkauften Opernhaus, wo das Neue Jahr am 1. Januar mittlerweile traditionell mit einer konzertanten Vorstellung begrüßt wird.
E.E.-K.
Spieldauer ca. 2 ¾ Stunden, inkl. einer Pause

Mittwoch, 31.07.2019

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