Elektra - Oper Bonn - kultur 155 - April 2019

Elektra
Foto: Thilo Beu
Elektra
Foto: Thilo Beu

Der Müll, die Wut und der Wahn

Es ist ein Frauenstück. Männer kommen vor, aber die Energie gehört in Richard Strauss‘ musikalisch radikalster Oper eindeutig dem weiblichen Geschlecht. Nach seiner Salome (1906) öffnet der 1909 uraufgeführte Einakter Elektra unerhörte Abgründe. Der Komponist und sein kongenialer Librettist Hugo von Hofmannsthal (mit Elektra begann die fruchtbare Zusammenarbeit des Dichters mit dem Musiktheater-Star) tauchten dabei tief ein in die damals ganz neuen psychologischen Einsichten Sigmund Freuds, bevor sie nur zwei Jahre später mit dem Rosenkavalier eine feinziselierte Melancholie zelebrierten. Die Oper Elektra wirkt dagegen wie ein ungeschliffener Rohdiamant. Tonal rau, emotional verstörend, voller archaischer Düsternis.
Unter der musikalischen Leitung des Generalmusikdirektors Dirk Kaftan werden die sensiblen Spiegelungen zwischen wüstem Albtraum und Andeutungen von melodischer Seligkeit wunderbar transparent. Das mit 116 Musikern riesig besetzte Beethoven ­Orches­ter schafft einen differenzierten Klanggrund für das intime Psychokammerspiel, inszeniert von dem Leipziger Schauspielchef Enrico Lübbe. Der ist zwar kein Musiktheaterspezialist, führte aber schon 2013 Regie bei der deutschen Erstaufführung von Manfred Trojahns stofflich naheliegender Oper Orest in Hannover. Lübbe leitet alle Figuren ungeheuer präzis durch die knappe Handlung.
Im Bühnenbild des Schweizers Etienne Pluss wird daraus ein faszinierendes Meisterwerk. Auf der einen Seite eine elegante Treppe zur leicht verwitterten Beletage, auf der anderen Seite unten im Foyer schwarze Plastik-Müllsäcke und die blutige Badewanne, in der Agamemnon von seiner Gattin ermordet wurde. Die Atridenfamilie mit all ihren Verhängnissen: Entsorgt als Müll der Geschichte.
Dort unten haust Elektra in einem angegrauten gelben Kleid (Kostüme: Bianca Deigner) und hat nur ein Ziel: Rache für den Tod des Vaters.
Es gibt nicht viele Sängerinnen, die die extrem anspruchsvolle Partie der Elektra beherrschen. Dazu gehört nun die aus Estland stammende Sopranistin Aile Asszonyi, die mit ihrem Rollendebüt einen Begeisterungssturm entfachte. In Bonn gastierte sie bereits als Prothoe in Othmar Schoecks Penthesilea; jetzt überzeugt sie mit ihrer strahlenden Stimme und spielerischen Präsenz als verwirrte Elektra, die in den Abgründen der Vergangenheit gefangen ist. Sie ist während der gesamten Vorstellung ständig auf der Bühne. Sorgsam bewacht von den streng uniformierten fünf Mägden (Charlotte Quadt, Susanne Blattert, Anjara I. Bartz, Rose Weissgerber, Louise Kemény), die ungerührt ihre Entrümpelungs-Arbeit verrichten. Angeführt von einer wuchtigen Aufseherin (Jeannette ­Katzer) im dunkelroten Lederkleid. Ab und zu entsteigt Elektras Racheträumen eine Gruppe junger Männer mit Beilen, der dann eine Schar von Elektra-Doubles folgt. Ihre ganze Sehnsucht gilt ihrem Bruder Orest, der Klytämnestra töten muss.
In dieser Partie gibt die Mezzosopranistin Nicole Piccolomini ihr glänzendes Rollendebüt. Ihre Klytämnestra ist keine gebrochene alte Frau, sondern eine machtbewusste Herrscherin, die mit großer Theatergeste im golden schillernden Paillettenkleid die Stufen von den königlichen Gemächern herabschreitet zu der verwahrlosten Tochter. Ein Höhepunkt der Inszenierung ist die Auseinandersetzung zwischen Mutter und Tochter am Tisch. Klytämnestra („Ich habe keine guten Nächte“) sucht ein Mittel gegen ihre Albträume und wird von Elektra bitter höhnisch abgefertigt. Ihre Schwester Chrysothemis, wunderbar verkörpert von der Sopranistin Manuela Uhl, möchte einfach alles Schlimme verdrängen und sehnt sich nach einem ‚normalen‘ Leben als Gattin und Mutter.
Als Boten die Nachricht vom angeblichen Tod des Orest verkünden, bricht die ganze Gesellschaft in hysterisches Gelächter aus. Zu früh, denn der herbeigesehnte Rächer (hervorragend: das langjährige Ensemble-Mit-glied Martin Tzonev) lebt noch. Allerdings nicht als strahlender Held, sondern vom Schicksal schwer gezeichnet. Die Wiedererkennungsszene der Geschwis­ter geht zu Herzen. Dann muss die Tat vollbracht werden, auch wenn Orest sich nur noch mühsam die Treppe hinaufschleppen kann und der Hilfe eines Pflegers (Egbert Herold) bedarf. In der kleinen Rolle des Aegisth brilliert Johannes Mertes, der junge Diener ist mit dem aufstrebenden jungen Tenor David Fischer sehr hochkarätig besetzt. Der Chor unter der Leitung von Marco Medved bleibt unsichtbar, singt aber live.
Nach den Todesschreien der Mutter und ihres neuen Partners wird wieder aufgeräumt. Die Mägde in schicken neuen Uniformen schaffen die Relikte fort auf einen Müllhaufen, in dem schließlich auch Elektra verschwindet. Das ist konsequent, denn sie hat ihr Lebensziel erreicht. Langer Premierenjubel für eine absolut stimmige Inszenierung, eine musikalische Spitzenleistung und insbesondere für die drei Frauen, die aus der Vorstellung ein Ereignis auf Weltklasse-Niveau machen. E.E.-K.

Spieldauer ca. 1 ¾ Stunden, keine Pause

Donnerstag, 08.08.2019

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