Fidelio - Oper Bonn - kultur 163 - Februar 2020

Fidelio
Foto: Thilo Beu
Fidelio
Foto: Thilo Beu

Rettungsoper – konsequent

„Beethovens einzige Oper ist eine Zumutung“, schrieb 2018 Jens Jessen in der „Zeit“. „Fidelio ist ja kein dramatisches Meisterwerk, das von der Regie nur verhunzt werden kann, sondern eher eines, das für die Bühne erst gerettet werden muss.“ Genau das hat der Regisseur Volker Lösch versucht, in Bonn bestens bekannt von seinen politisch brisanten Schauspielinszenierungen. „Kunst ohne Anbindung an das Draußen, an die Zeit, in der ich lebe, finde ich sinnlos“, lautet sein Credo. Eine festliche Gala zum Neujahrstag war die Premiere nicht, wohl aber eine eindeutige Stellungnahme für Beethovens Ideal der Freiheit und gegen jedes autoritäre Zwangsregime. Die Geschichte ist konsequent in die Gegenwart übersetzt und zitiert am Ende furchtlos die Mittel des alten Agitproptheaters mit Plakaten, die dazu aufrufen, selbst aktiv zu werden für die Freilassung der politischen Gefangenen in der Türkei.
Die gesprochenen Originaltexte sind gestrichen, Lösch lässt stattdessen Zeitzeugen zu Wort kommen, die in unserer Region leben und von ihren eigenen brutalen ­Hafterfahrungen oder denen ihrer Angehörigen berichten. Im Zentrum stehen der Kurdenkonflikt und die Verfolgung von Regimekritikern. Das nimmt thematisch genau die Situation in Beethovens Oper auf. Florestan ist wegen seiner Opposition gegen die Willkürherrschaft in seinem Land eingekerkert und soll durch Nahrungsentzug langsam sterben. Seine Frau Leonore schleicht sich als Mann verkleidet in die Familie des Gefängniswärters Rocco ein, um ihren Gatten zu befreien. Dass Roccos Tochter Marzelline sich prompt in den sympathischen jungen ‚Fidelio‘ verliebt, ist eher ein Kollateralschaden.
Beethovens Musik bleibt unangetastet, auch wenn sie angesichts des visuellen Aufwands (ermöglicht durch die Förderung der BTHVN-Jubiläumsgesellschaft) manchmal doch in den Hintergrund gedrängt wird. GMD Dirk Kaftan am Pult des großartigen Beethoven Orchesters, das anfangs auf der Bühne spielt und dann in den Graben herunterfährt, lässt sich überzeugt auf das Experiment ein. Erstaunlich synchron zum Geschehen auf der großen Filmleinwand läuft schon die Ouvertüre. Zwischen den schönen Postkartenansichten erscheinen plötzlich Bilder von Panzern (exakt zum Paukenschlag ein Schuss), blutigen Straßenkämpfen, Flüchtlingsbooten und Präsident Erdogan als osmanischem Sultan.
Witzig karikiert wird das kleinbürgerliche Milieu, wenn Marzelline (hinreißend: Marie Heeschen) und ihr Bräutigam Jaquino (liebenswürdig: der neue Bonner Tenor Kieran Carrel) in Großaufnahme auf Shoppingtour durch Bonn erscheinen. Die Inszenierung ist ästhetisch vielschichtig. Unten auf der Bühne sind die Sänger*innen als reale Figuren zu sehen und zu hören. Die im Fernsehen gern verwendete Greenscreen-Technik (Video-Design: Chris Kondek und Ruth Stofer) lässt auf den Projektionen alles Grüne verschwinden. Auch Menschen werden unsichtbar, besonders eindrücklich im Gefangenchor, wo beim kurzen Freigang allmählich Gesichter in der Masse zu erkennen sind. Chor- und Extrachor, einstudiert von Marco Medved, gehören ohnehin auf die Habenseite der musikalisch glänzenden Vorstellung.
Der Bass Karl-Heinz Lehner, einer der international begehrtesten Rocco-Darsteller, überzeugt mit seiner „Goldarie“ wie als opportunistischer Kerkermeister, der dem Gouverneur Pizarro selbst im Dampfbad noch treu zu Diensten ist. Mark Morouse als feister Bösewicht mit Sonnenbrille gibt mit feinem Bariton den gnadenlosen Machtmenschen, der selbst zum Dolch greift, um seinen Feind Florestan zu erledigen. Der Tenor Thomas Mohr singt den im dunkelsten Keller von Isolationsfolter, Hunger und Durst zermürbten Gefangenen absolut höhensicher und träumt anrührend von seinem rettenden Engel Leonore. Zentrum des Dramas ist Martina Welschenbach, die sich in den männlichen Fidelio verwandelt und mit Marzelline im von dieser ersehnten Hochzeitsbett tummelt, aber doch auch ganz Frau sein darf. Im feuerroten Kleid mit langem blondem Haar (Kostüme: Alissa Kolbusch) schwebt sie durch die Luft und wird im Film zu einer Art Comic-Superwoman, die mit ausgestreckter Faust alle Mauern kühn durchbricht.
An einem Tisch auf der karg möblierten Bühne von Carola Reuther ­diskutiert derweil ein Filmteam unter der Leitung eines ganz in Lila gekleideten ‚Regisseurs‘ (der Schauspieler Matthias Kelle) über eine geplante Dokumentation über Inhaftierte in der Türkei. Hakan Akay, Dogan Akhanli, Süleyman Demirtas (geriet in die Schlagzeilen wegen seiner Verhaftung beim Urlaub in Spanien), Agit Keser und die Aktivistin Dilan Yazicioglu haben viel zu berichten von Misshandlungen und Schikanen. Das geht so unter die Haut, dass man vergisst, dass hier keine Profidarsteller auftreten. Immer wieder mischen sich auch die Sänger*innen ins Gespräch ein mit Reflexionen über ihre Rollen. Mit Live-Kameras kommen Chantal Bergemann und Krzysztof Honowski den Akteuren oft sehr nahe.
Die Mischung aus Bühnenhandlung, vorproduzierten Videos und direkter Bilderübertragung fordert von den Zuschauern jedoch so viele ­Blickwechsel, dass in diesem visuellen Overkill die Musik leicht in den Hintergrund gerät. Martin Tzonev als Minister Don Fernando und Retter in höchster Not tritt als Deus ex machina aus dem Parkett auf. Pizarro wird vom Volk hingerichtet. Das Orchester fährt zum Schlussjubel wieder aus dem Graben hoch.
Die polarisierende Inszenierung lässt dem Publikum allerdings keine andere Wahl als die Solidarisierung mit den Opfern. Das ist so gewollt und durchaus im Sinn des revolutionären Geistes Beethovens. Vereinzelte Buhrufe gingen im stürmischen Premierenbeifall unter. Die Vorstellung soll auch nicht-habituelle Opernbesucher anlocken. Weil alle Aufführungen schnell ausverkauft waren, gibt es am 29. März sogar eine Zusatzvorstellung. Dafür entfällt die an dem Termin eigentlich vorgesehene Aufführung von Cavalleria rusticana / Pagliacci. Zum Beginn des ­Beethovenjahres 2020 hat die Oper Bonn auf jeden Fall eine musiktheatralisch wirkungsvolle Neubesichtigung des Fidelio präsentiert. E.E.-K.


Spieldauer ca. 2 ¾ Stunden, keine Pause
Bei Redaktionsschluss waren alle Vorstellungen bis auf wenige
Restkarten am 29. März ausverkauft.

Freitag, 24.04.2020

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