Der Mustergatte - Contra-Kreis-Theater - kultur 163 - Februar 2020

Der Mustergatte
Foto: Contra-Kreis-Theater
Der Mustergatte
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Willi und der Wolkenkratzer

Lass das mal den Willi machen, hieß es Ende 2016 im Kleinen Theater. Auch da war der Mustergatte eine Art Zwilling von Heinz Erhardt. Jetzt ist er im Contra-Kreis zu Gast, hinreißend komisch und ziemlich bald nicht mehr nüchtern. Ein guter Cocktail ist nämlich wie ein Wolkenkratzer mit vielen Stockwerken. Und wenn man die heimlichen Verstecke plündert, reicht das bis in sehr blaue Höhen. Dabei ist der kleine Finanzbeamte Willi Winzigmann ein echter Mustergatte: fleißig, häuslich und überzeugter Antialkoholiker. Seine einzige Leidenschaft gilt Kreuzworträtseln. Was immerhin einen Hang zu dichterischen Experimenten verrät. Sinnliche Tätigkeit mit drei Buchstaben – dazu fällt Willi freilich beim besten Willen nichts ein. Außerdem sieht er nicht nur aus wie Heinz Erhardt, sondern macht sich auch die irrsinnigsten Reime auf die Welt.
In dem zugrundeliegenden, 1915 erschienenen, mehrfach verfilmten Schwank des amerikanischen Autors Avery Hopwood hieß der Mustergatte Billy. Diese unsterbliche Figur wurde zu einer Paraderolle von Heinz Rühmann und weiteren Bühnen- und Kinogrößen. Jetzt mimt der bekannte Kulturjournalist und bekennende Erhardt-Fan Stefan Keim den herrlich unbeholfenen Ehemann und begnadeten Wortspieler. Die Seiten zwischen Parkett und Bühne wechselt er als Kritiker, Kabarettist, Stückeschreiber und Schauspieler ziemlich furchtlos und wurde bei der Premiere im Contra-Kreis gleich beim ersten Auftritt mit Beifall empfangen. Um es gleich vorweg zu sagen: Er macht das gemeinsam mit dem munteren Ensemble in der Regie von Jan Bodinus einfach großartig. Alle vermitteln so viel Spaß an der turbulenten Komödie, dass das Publikum auf Frohsinns-Wolken schwebt.
Die neue Besichtigung des alten Antihelden durch die Brille von Heinz Erhardt im Ambiente der 1970er Jahre funktioniert prächtig, perfekt geschmiert durch aberwitzige verbale Pointen und Sottisen.
Freilich verbirgt sich ein wirklicher Schelm hinter der Figur des genialen Verseschmieds. Dem notorischen „Noch ‘n Gedicht“ (bei der kleinen Made vor der Pause kommt prompt das „Schade“ aus dem Zuschauerraum) und dem fleischgewordenen Fettnäpfchen. Dieser Willi ist so umwerfend lieb und treu, dass seine Gattin Wilma dringend Abwechslung braucht. Reinhild Köhncke spielt die höchst attraktive Frau, die gern mal der Küche und dem ereignislosen Bett entfliehen möchte. Zum Beispiel in eine Aufführung des Musicals Hair, wofür ihr vorehelicher Partner Freddy die raren Karten besorgt hat. Raphael Souza Sá glänzt als reizender Latin Lover mit lila Hose. Willi freut sich ehrlich, wenn Wilma mal ausgeht und sich dafür mit einem lila Abendkleid feinmacht (wunderbar treffsichere Kostüme: Nuschin Rabet). Die gertenschlanke Wilma tanzt gern zur Musik der Bee Gees, während ihr eher vollschlanker Willi lieber nach dem Dienst in Pantoffeln schlüpft und die alten Hits von Freddy Quinn auflegt. Zu Vögeln fallen ihm bloß Amsel und Drossel ein.
Für Rolling Stones in seinem Kopf sorgt später ein hochprozentiges Gemisch mit echter Wolkenkratzer-Qualität. Es grenzt an ein Wunder, dass er und die brave Nachbarin Blanche dieses literweise genossene giftgrüne Gesöff überhaupt überleben. Vom lustvollen Schweben auf Traumwolken ist da kaum noch die Rede, eher von einem folgenden tiefschwarzen Kater.
Im witzigen Kleinbürger-Bühnenbild von Christian Baumgärtel mit den üblichen Boulevardtüren gibt es sogar ein weißes Tigerfell wie bei Dinner for One. Beim Cocktail for Two machen zwei einsame Herzen bloß hilflose Luftsprünge. Mit den Möpsen und weiteren Angeboten von Blanche kann Willi definitiv nichts anfangen. Dabei ist die temperamentvolle Michaela Schaffrath (bekannt als TV- und Filmakteurin) ein absoluter Schatz. Eine brillante Komödiantin, die mit viel Leib und noch mehr Seele Theater macht. Denn ihr Gatte Hein treibt sich anscheinend statt in seiner Skatrunde nachts regelmäßig auf der Reeperbahn rum. Als kleiner Möchtegern-Macho im gruselig-bunten 70er-Jahre-Outfit tummelt sich Martin Bross (alternierend mit Slim Weidenfeld) durch das groteske Drama und empfiehlt Willi die Eifersucht als Medizin für oder gegen frustrierte Frauen. Leider irgendwann selbst so betroffen, dass tanzende Tische (Willis Übersetzung von „Table-Dance“) bloß der Anfang erotisch mehr oder minder schwankender Existenzen werden. Verraten sei nur: Wilma packt ihren Koffer nicht endgültig, und Blanche liebt ihren Hein ehrlich. Weil Willi in Wirklichkeit ein Poet ist und auf seine Weise mehr begreift als die prosaische Wahrheit. Vergnügter Premierenbeifall für das ganze spielfreudige Ensemble. Die Produktion lief im vergangenen Sommer schon höchst erfolgreich auf der Freilichtbühne der Schlossfestspiele Neersen und ist im intimeren Rahmen des Contra-Kreises beste Medizin gegen den Januar-Blues. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2¼ Stunden, inkl. einer Pause
Täglich außer montags bis 2.02.20

Freitag, 24.04.2020

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