Christoph Gummert - Kultur Nr.167 - Dezember 2021

Lenz, Ismet und der Madenhacker - Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Christoph Gummert

Seit der Spielzeit 2018/19 ist Christoph Gummert Ensemblemitglied am Schauspiel Bonn. Vorgestellt hat er sich hier bereits im Frühjahr 2018 als Gast in „Wut” von Elfriede Jelinek in der Regie von Sascha Hawemann. Zu Beginn seines festen Engagements war er in diversen Rollen in Voltaires „Candide“ zu sehen, inszeniert von Simon Solberg. Es folgten, wieder in der Regie von Sascha Hawemann, die Neubearbeitung von Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“, in der Gummert den ständig besoffenen alten Egon Krause verkörperte, und Molnárs „Liliom“. Hier spielte Gummert den Erzähler, anfangs sogar auf Ungarisch. Fremde Idiome lernt er gern, was ihm nun bei seiner Rolle als türkischer Freund in „Istanbul“ (s. Kritik S. 5) zugutekam. Sein Gesangstalent bewies er bereits in der erfolgreichen Revue „Linie 16“, die mehrfach wieder aufgenommen wurde. Im Herbst 2020, als die Theater unter strengen Auflagen wieder öffnen durften, verkörperte er in der Regie von Armin Petras in Büchners „Lenz“ eine der Facetten des jungen Dichters. ­Shake­speares „König Lear“, wo er in der Regie von Luise Voigt den intriganten jungen Edmund spielte, fiel dann nach nur zwei Vorstellungen der Pandemie zum Opfer.
Geboren wurde Christoph Gummert 1983 auf Usedom. Erste Theater-Erfahrungen machte er an der Vorpommerschen Landesbühne Anklam, die mehrere Orte auf der beliebten Ferieninsel bespielt und wo er schon als Schüler auf der Bühne stand. Sein Schauspielstudium absolvierte er dann an der Folkwang Universität der Künste in Bochum und wirkte am dortigen Schauspielhaus in mehreren Inszenierungen mit, u. a. von Katharina Thalbach und Anselm Weber. Von 2012 bis 2016 war er festes Ensemblemitglied am Landestheater Detmold. 2014 erhielt er den Detmolder Theaterpreis der dortigen Schauspielfreunde für seine Darstellung des Lysander in Shakespeares „Sommernachtstraum“. Als Regisseure, die ihn besonders geprägt haben, nennt er Swantje Krumscheidt, Angelika Zacek und Martin Pfaff.
Gastengagements führten ihn danach ans ­Thea­ter der Jugend in Wien und an die Akademie der Darstellenden Künste Ludwigsburg. Außerdem wirkte er in mehreren Filmen, TV- und Hörfunk-Produktionen mit. Für ein Festengagement in Bonn entschied er sich auch wegen der vielseitigen Kulturszene. „Für Bonn sprachen und sprechen viele Gründe. Ich schaue gerne: Theater, Oper, Tanz, Museen und Menschen. Überall und am liebsten live. Neben dem Theater Bonn empfinde ich u. a. die Brotfabrik und das Theater im Ballsaal mit dem Fringe Ensemble sowie CocoonDance als sehr inspirierende Orte. Parallel zu meiner ersten Arbeit am Schauspielhaus durfte ich Dirk Kaftan und das Beethoven Orchester Bonn bei den Vorbereitungen zur Einspielung von Beethovens Schauspielmusik ‚Egmont‘ kennenlernen. Weil ich so aufgeregt war, stellte ich mir vor, ich wäre Anna Netrebko. Gut, ich bin Bassbariton, sie ist Sopran. Der Aufnahme hat es sicher nicht geschadet.“
Auf der Bühne probiert er gern verschiedene musikalische Formen aus. „Ich habe das Glück, mit wunderbaren Menschen auf und hinter der Bühne arbeiten zu können. Bis meine Stimme über das Mikrofon durch kilometerlange Kabel über die Lautsprecher beim Publikum hörbar ankommt, ist es viel Arbeit von Fachkräften. Ein befreundeter Sänger, der die Premiere von ‚Istanbul‘ sah, lobte die Akustik und Tontechnik des Schauspielhauses. Das freut mich sehr. Es ist schön, dass der Istanbul-Abend viele Menschen ins Schauspielhaus lockt und begeistert. Die türkische Sprache höre ich neben vielen anderen Sprachen täglich auf dem Weg zur Arbeit. Es ist mir nicht fremd. Mit Hilfe unserer türkeistämmigen Musiker*innen zu Inhalt und Aussprache konnte ich mich als ‚Weiße Kartoffel‘ der türkischen Kultur sowie der Sprache respektvoll annähern.“
Die Corona-Spielzeit 2020/21 mit ihren insgesamt gerade mal sechs Vorstellungswochen war eine der schwierigsten seit Jahrzehnten. Trotzdem gab es im Theater keinen Stillstand, sondern eine Menge Aktivitäten. „So manche Inszenierungen gehen auch ohne solche besonderen Umstände durch äußere Gegebenheiten aus dem Spielplan. Das passiert einfach. ‚Die Zofen‘ in der Regie von Claudia Bauer fand ich unglaublich toll und ich bin froh, dass ich eine der wenigen Vorstellungen erleben konnte. ‚Wut‘ verschwand 2018 auch nach wenigen Vorstellungen vom Programm. In beiden Fällen fand ich es schade. Aber die Monate nach dem ersten Lockdown bis zum Neustart in diesem Herbst waren tatsächlich eine Ausnahmesituation. Die langfristigen Auswirkungen der Pandemie werden erst langsam sichtbar. Das ­Thea­ter Bonn stand indes nicht still. Wir konnten weiter denken und forschen. Aus dem Ensemble heraus entstand beispielsweise das Format der ‚Bonner Stimmen‘. Das Privileg von Impfungen und der Absicherung durch Kurzarbeit hatten nicht viele Menschen. Was für ein Luxus, wenn man auf den globalen Süden sieht, wo man jetzt noch auf Impfstoffe wartet! Mein Respekt gilt denen, die durch diese beschissene Pandemie Mitmenschen und ihren Mut verloren haben. Ebenso gilt er auch jenen, die es mit Mut und Erfindungsreichtum durch diese Zeit hindurch geschafft haben. Künstler*innen wie u. a. Daniel Breitfelder mit seiner Figur des ‚Rheinrangers‘ zeigen einen innovativen Weg. Am Ende der vergangenen Spielzeit wurde uns in der Sparte Schauspiel eine Fortbildung zum Thema ‚Sensibilisierung zu Diskriminierung insbesondere zu anti-schwarzem Rassismus‘ ermöglicht. Das hat wichtige neue Impulse gesetzt für meine Arbeit als Schauspieler und ­darüber hinaus.“
Gerade hat das Kinderstück „Mein Jimmy“ (s. Kritik S. 13) im Foyer des Schauspielhauses seine Premiere gefeiert. Gummert spielt in dem poetischen Dialog den quirligen Madenhacker. In Shakespeares „Sommernachtstraum“ als Familienstück verkörperte er eine Elfe und den Träumer Zettel. Ist Theater für ganz junges Publikum eine besondere Herausforderung? „Theater ist für mich ein kollektives Ereignis. Ab einem Zuschauer mache ich Theater. Da fasziniert mich jedes Alter, nicht nur das biologische. Das Schöne an den Vorstellungen für unser junges Publikum sind neben den leuchtenden Kinderaugen auch viele Erwachsene, die anfangen, mitzufiebern und es nicht verbergen. Meine erste Rolle war übrigens der Hahn bei Frau Holle. Ich stand mit etwa 5 Jahren auf einem wackeligen Stuhl und krähte. Dreißig Jahre später stehe ich mit Hacki wieder als bunter Vogel da: Mit 60 kg mehr auf den Hüften, mit ‘nem Diplom an der Wand, etwas weniger pädagogisch verkündender Intention, aber derselben Spiellust - KÖKÖRÖKÖÖ!!!
Mir begegnen neben Eitelkeit, Lieblosigkeit und Egomanie bis heute Macher*innen, die spielend diskutieren und achtsam großartige Inszenierungen erschaffen. Am Theater Bonn sind insgesamt ca. 500 Mitarbeiter*innen beschäftigt. Die kenne ich noch nicht alle. Hier begeistern mich Menschen durch ihre Achtsamkeit für das Theater, wie u. a. Silke Hüsken aus dem Fundus, Maite Rohde aus der Requisite, Judith König aus dem Malersaal, Sirko Lamprecht vom Licht, die Beleuchterin Ewa Górecki in der Werkstattbühne und Arlette Loureiro an der Theaterkasse.“
Aktuell stehen Proben für die Uraufführung von Sascha Hawemanns Stück „November“ (Premiere am 26.11.21 in der Werkstatt) auf Gummerts Programm, im Januar 2022 folgt die Premiere von Arthur Millers „Ein Blick von der Brücke“. In der Regie von Martin Nimz spielt er die Hauptrolle des Eddie. „Bis dahin entstehen noch andere spannende Welten mit interessanten Begegnungen. Der Text ‚November‘ erzählt die Geschichte von drei jungen Menschen in der DDR und deren Lebenswege, beginnend von 1983 bis in die heutige Zeit durch Länder und Welten, die es heute nicht mehr gibt. Bei dem Drama von Arthur Miller spiele ich zum ersten Mal in einem Werk dieses Autors. Es ist auch meine erste Arbeit mit dem Regisseur Martin Nimz. Von seiner Bonner Inszenierung der ‚Drei Schwestern‘ war ich beeindruckt. 2022 ist gefühlt aber noch weit entfernt.“
Was ihn an der Arbeit für Film und Fernsehen und als Sprecher reizt? „Das Spiel auf der Bühne, vor der Kamera und am Mikrofon erfordert immer neue Herangehensweisen. Darin liegt für mich ein unglaublicher Reiz. Wenn ich bis ins hohe Alter so präsent und fein wie Wolfgang Rüter und andere Kolleg*innen arbeiten kann, wäre ich sehr dankbar.“
Und was würde er gern mal spielen? „Shakespeares Richard III, den Grinch aus der Fantasykomödie von Ron Howard und Kaiserin Elisabeth von Österreich. Nein, nicht wegen ihrer legendären Kleider. Sie ist eine spannende Figur. Das Besondere am Theater bleibt für mich die Unmittelbarkeit der Entstehung eines Abends mit Menschen. Das gemeinsame Erleben einer Vorstellung. Die Neugierde auf das, was als Nächstes passiert. Oder einen Anruf aus der Dramaturgie mit der nächsten Besetzung. Oh Moment, mein Telefon schellt… Ja, hallo?!“
Bei Christoph Gummert darf man stets mit Überraschungen rechnen.

Mittwoch, 01.12.2021

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