Linda Belinda Podszus - Kultur Nr. 174 - Dezember 2022

Kitty, Lämmchen, Sara und Pussy Riot - Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Linda Belinda Podszus

Fangen wir bei den auffälligen Vornamen an. „Linda Belinda war eine Art Kompromiss meiner Eltern, die sich nicht auf eins von beiden einigen konnten und mir dann für später die Wahl überließen.“ Ihre Mutter ist gebürtige Polin, der Nachname „Podszus“ stammt jedoch von ihrem Vater, dessen Eltern aus Ostpreußen über Litauen in den Westen flohen. Die 1996 in Viersen geborene Schauspielerin Linda Belinda Podszus spricht neben Deutsch und Englisch auch muttersprachlich Polnisch. Aufgewachsen ist sie in Berlin. Über die Musik kam sie dann zum Theater. „Meine Familie war nicht überdurchschnittlich kunstaffin. Aber ich spielte verschiedene Instrumente und sang bei Schulkonzerten, gründete mehrere Schulbands und lernte mit 16 meine Gesangslehrerin Gabriele Fritze kennen, mit der ich immer noch arbeite und eng befreundet bin. Bei ihr erhielt ich eine klassische Stimm-Ausbildung, was ja auch für Pop und Jazz von Vorteil ist. Ich habe lange überlegt, ob ich Sängerin werden oder Musical studieren sollte, zumal ich auch gern tanze. Wir hatten an unserer Schule ­einen tollen Theaterlehrer, der mit uns auch musikalische Produktionen erarbeitete. Ich wirkte in diversen Schultheater-Aufführungen mit und entschied mich für die Schauspielerei, weil sie so vielseitige Möglichkeiten für eigene Kreativität und politische Interventionen bietet.“
Nach ersten Rollen am freien Berliner Blackboxx-Theater war ihre Bewerbung an der renommierten Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover erfolgreich. Bereits während des Studiums spielte sie 2019 an der Neuköllner Oper Berlin eine Hauptrolle bei der Uraufführung des Musiktheaterstücks „9 Tage wach“ von John von Düffel, nach dem gleichnamigen Bestseller von Eric Steinfest über die Partydrogen-Szene, in der Regie von Fabian Gerhardt. Kurz vor ihrem Studienabschluss bewarb sie sich 2020 an verschiedenen Bühnen. Nach dem Vorsprechen in Bonn saß sie noch auf der Rückfahrt im Zug, als Schauspieldirektor Jens Groß sie anrief und ihr ein festes Engagement anbot. „Ich habe sofort zugesagt, weil ich mich hier gleich wohlfühlte.“ Es ging dann alles sehr schnell, ein paar Wochen später war sie mitten in der Saison schon Ensemble-Mitglied. „Angst“ in der Regie von Volker Lösch wurde noch zwei Wochen lang geprobt, dann folgten drei Monate Pandemie-Pause. „Ich zog wieder nach Berlin, wo ich immer noch gut vernetzt bin, und machte mit Freunden Musik.“
Ihren ersten öffentlichen Auftritt im Schauspielhaus hatte sie dann zu Beginn der Spielzeit 2021/22 in Simon Solbergs Inszenierung von „Unsere Welt neu denken“. „Ich fand das cool, diesen Stoff auf die Bühne zu bringen. Maja Göpels Buch hatte ich natürlich gelesen und war sehr gespannt darauf, wie wir das in eine ästhetische Form bringen würden. Es ist schön, dass die Produktion so gut angekommen ist und jetzt wieder aufgenommen wurde.“ Linda ist politisch sowieso sehr interessiert und findet es wichtig, dass das Stadttheater Diskussionen anstößt. Derzeit steht sie im Schauspielhaus auf der Bühne als Aktivistin in Volker Löschs Inszenierung von „Recht auf Jugend“. „Natürlich wurden wir von den Aktivist*innen gebrieft und haben uns intensiv mit der Klimakatastrophe auseinandergesetzt. Wir bieten nach jeder Vorstellung Nachgespräche an. Ich werde oft gefragt, ob ich mich selbst auf Straßen festkleben würde. Vorläufig habe ich das nicht vor, zumindest noch nicht. Aber es ist alles offen, ich finde dass das Thema definitiv mehr gehört werden sollte. Es geht vor allem darum, den Anliegen der „Letzten Generation“ mehr Gehör zu verschaffen, wie beispielsweise auf die Forderungen aufmerksam zu machen: „Tempolimit auf Autobahnen“ oder „Ausbau des Nahverkehrs“. Für den tragischen Tod einer Berliner Radfahrerin sind die Klimaaktivisten ziemlich sicher nicht verantwortlich. Die Probleme liegen tiefer, das wird immer deutlicher. Es entwickelt sich gerade sehr viel in kurzer Zeit, was den Blick verschärft. Deswegen ist es umso wichtiger, eine Plattform zu bieten, auf der man sich austauschen kann, und das schaffen wir glaube ich, schon mit der Inszenierung, vor allem mit den Nachgesprächen. Arnolt Bronnens Text ist zwar sprachlich schwer greifbar, aber Lothar Kittsteins Bearbeitung vermeidet falsches Pathos oder setzt es gezielt ein. Wir versuchen, den Teil zu leisten, den das Theater leisten kann.“
Besonders am Herzen liegt ihr das Stück „Medea 38 / Stimmen“ von Dogan Akhanli. „Mit dem Regisseur Nuran David Calis wollte ich unbedingt mal zusammenarbeiten. Von dem Völkermord an den Kurden ­wusste ich bis dahin so gut wie nichts. Die Dramaturgin Nadja Groß hat für die Vorbereitung ein riesiges Material-Konvolut zusammengestellt. Es gibt unglaublich viele Unterlagen und Zeitungsberichte zu der historischen Sakine Cansiz, also der Sara, die ich spiele. Es war herausfordernd, sich in diese Frau reinzuversetzen. Am Originaltext des verstorbenen Autors wurde fast nichts geändert. Der Rahmen war klar umrissen, aber der Regisseur ließ uns trotzdem viele Freiheiten. Das gab mir eine großartige Unterstützung bei den Proben, so dass ich richtig Lust an der Arbeit hatte. Für mich ist es die bisher schönste Produktion, auch wenn es kein Publikumsrenner geworden ist. Aber es ist wichtig, die Geschichte immer wieder neu aufzurollen, damit die Menschlichkeit nicht verloren geht. Es hört ja nicht auf. Es gibt auf der Welt immer mehr Diktaturen.“
Als am 24. Februar die Nachricht vom russischen Angriff auf die Ukraine kam, habe sie den ganzen Tag geweint, gesteht Linda. „Ich habe viele Freunde in Polen, die Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen haben. Ich dachte dann, dass wir doch irgendwas tun müssen. Nach einem Benefizabend für die Ukraine entstand die Idee zu dem Abend „Pussy Riot“. Der Regieassistent Max Immendorf und ich dachten für den Benefizabend zuerst an eine etwa 15-minütige Lesung aus Nadja Tolokonnikowas Buch ‚Anleitung für eine Revolution‘. Jens Groß hat sich dann auf unseren Wunsch hin damit einverstanden erklärt, dass wir daraus ein abendfüllendes Stück in der Werkstatt realisieren können. Wir hatten nur zwei Wochen Zeit, um das Team zusammenzustellen. Dann kamen noch Coronafälle, so dass tatsächlich nur ca. fünf bis sechs Probentage blieben. Die Textfassung haben wir per Zoom gemacht. Weil ich ja selbst mitspiele, hat Max sich um die szenische Einrichtung gekümmert, also geschaut was spielerisch auf der Bühne passiert. Vor der Sommerpause konnten wir die Aufführung nicht mehr rausbringen, aber im Oktober 2022 hatten wir endlich Premiere. Nun bin ich sehr glücklich, dass es so gut läuft.“
Selbstverständlich hat Linda sich auch sehr gefreut, dass „Kleiner Mann – Was nun?“ so erfolgreich war und im Dezember wieder aufgenommen wird. Sie spielt dort die junge Emma, genannt „Lämmchen“, die ihren Mann Pinneberg über alle Schwierigkeiten hilft. „Ich habe mich intensiv mit dem Autor Hans Fallada und dem politischen Hintergrund des Romans beschäftigt. Der Regisseur Jan Neumann wollte vor allem die Liebesgeschichte zeigen, was beim Publikum ja auch gut ankam.“ In ­Tolstois „Anna Karenina“ spielte sie sehr berührend Annas tapfere jüngere ­Schwester Kitty. „Die multimediale Inszenierung von Luise Vogt ist sicherlich eine Herausforderung für die Zuschauer*Innen. Der Einsatz der Technik mit den großen Close-Ups war eine ästhetische Setzung. Ich selbst habe die Wirkung der Videos gar nicht beurteilen können und hatte manchmal das Gefühl, die meiste Zeit eher hinter der Bühne zu sein. Videos sind im Ensemble ebenso umstritten wie Mikroports. Man kann mit diesen Mitteln feiner nuancieren, Emotionen ohne große Theatralik zeigen, leiser und trotzdem verständlich sprechen. Das kann von Vorteil sein. Bei musikalischen Abenden ist eine abgestimmte tontechnische Verstärkung ohnehin wichtig. Aber ich verstehe gut, dass man die Stimme beim Schauspiel gern auch direkt hören möchte.“
In einigen Filmen und TV-Serien hat sie schon mitgewirkt. „Im letzten Jahr habe ich relativ viel gedreht, sofern das neben dem Engagement am ­Theater möglich war. Das asynchrone Arbeiten beim Film stört mich eigentlich nicht. Es ist eine ganz andere Art des Handwerks. Man kann emotional vielfältiger arbeiten, viel innerlicher und genauer. Man sieht sofort, ob du es wirklich ehrlich meinst, wahrhaftig bist. Das ist auf der Bühne etwas anders, wo du vieles durch Gesten oder Bewegungen verstärkst und es nicht immer auf den „ehrlichen Ton“ ankommt. Das Filmgeschäft ist allerdings sehr hart. Es ist unheimlich schwer reinzukommen. Man wird oft abgewiesen, weil irgendwas gerade nicht passt. Trotzdem möchte ich das gerne intensiver weiterverfolgen.“
Bis zum Ende des Jahres hat sie erst mal keine Proben, aber viele Vorstellungen. Gerne würde sie mal wieder was Musikalisches machen. Was genau für diese Spielzeit noch ansteht, ist allerdings noch nicht klar. „Es ist schön, dass man hier auch ab und an bei der Stückauswahl beteiligt sein darf oder Wünsche äußern kann, mit welchen Regisseur*innen man beispielsweise gerne in Zukunft arbeiten möchte. Manchmal hat man Glück und es klappt. Ich habe eine große Demut vor dem Beruf. Man darf nicht in Eitelkeiten abrutschen. Es geht darum, die eigene Künstlerpersönlichkeit flexibel zu halten.“ Linda Belinda Podszus bleibt eine nachdenkliche, politisch hellwache Schauspielerin, von der noch eine Menge Ideen zu erwarten sind.


Sonntag, 01.01.2023

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