Claus Wilcke - Kultur Nr. 179 - Sommer 2023

Von Percy Stuart bis zu Kerlen im Herbst - Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Claus Wilcke

Pfingstsonntag, endlich strahlender Sonnenschein. Den ganzen Vormittag haben sie auf der Außenbühne des Kleinen Theaters geprobt für Kerle im Herbst (s. Kritik auf Seite 6). Der Schauspieler Claus Wilcke sitzt völlig entspannt vor dem Theater und freut sich auf seinen Nachmittagsspaziergang in Muffendorf, wo er bei seinen Engagements in Bad Godesberg meistens wohnt. Mit dem ehemaligen Intendanten Walter Ullrich verbindet ihn eine lange Freundschaft. „Ich habe seine Menschlichkeit, sein enormes Wissen und seine Leidenschaft für die Kunst stets ebenso bewundert wie sein Organisationstalent.“ Vor rund 20 Jahren spielte Wilcke, der vermutlich alle Bühnen im deutschsprachigen Raum durch regelmäßige Auftritte und Gastspiele kennt, zum ersten Mal bei Ullrich im Schlosstheater Neuwied und dann auch in Bad Godesberg.
Unvergesslich bleibt beispielsweise seine Erscheinung als einstiger Lover in der verrückten Ehekomödie „Kennst du mich noch?“ 2005 an der Seite von Heide Keller. 2018 verkörperte er am Kleinen Theater den jovialen Dr. Harper und den freundlichen Mr. Witherspoon in dem unsterblichen Krimiklassiker „Arsen und Spitzenhäubchen“. 2019 war er als Stimme Gottes zu hören beim Abschied von Ullrich mit Goethes „Faust“. Auch wenn Wilcke dem Publikum vor allem als TV-Darsteller bekannt ist – seine große Liebe gehört dem Theater. Angefangen hat das schon früh in Bremen, wo er 1939 geboren wurde. Bereits als Schüler war er als Statist am Theater am Goetheplatz engagiert und begann noch vor dem Abitur eine Schauspielausbildung an der Bremer Stanislawski-Schule. Außerdem absolvierte er eine klassische Gesangsausbildung. „Die künstlerische Ader habe ich von meiner hochverehrten Mutter, die sehr gut singen und Klavier spielen konnte und mich immer in meinem Beruf unterstützte.“
Nach der Abschlussprüfung in Hamburg, die er mit „sehr gut“ bestand, folgte sofort ein festes Engagement in seiner Heimatstadt. „Die vier Jahre dort waren eine tolle, ungemein lehrreiche Zeit, in der ich als Anfänger viel von den erfahrenen Kollegen lernen konnte. Ich war manchmal Tage lang ununterbrochen im Theater und habe in der Garderobe oder – wenn da ein Bett rumstand – in den Kulissen geschlafen, weil ich den großen Kollegen bei den Proben zuschauen wollte oder um mich irgendwie nützlich zu machen, etwa beim Holen von Requisiten.“
Wichtigste Theaterstationen nach Bremen waren für ihn die Münchner Kammerspiele und das Renaissance-Theater Berlin. Auf kleinere Rollen folgten bald die klassischen großen. Als Lieblingsrollen in seiner frühen Bühnenkarriere nennt er Kleists „Prinz von Homburg“ und Schillers „Don Karlos“. Und natürlich den Romeo, den er in Wien an der Seite von Louise Martini als Julia verkörperte. Sehr gern gespielt hat er später auch den jüdischen Gemüsehändler Schultz in dem Musical „Cabaret“, den Milchmann Tevje in „Anatevka“ und den Vater Doolittle in „My Fair Lady“.
Bereits 1958 gab er sein Kinodebüt als Münchner Vorstadt-Casanova Nick Montag, der Hauptfigur in Alfred Vohrers Film „Meine 99 Bräute“. Es folgten dann jedes Jahr mehrere Filme und mit der zunehmenden Verbreitung des Fernsehens immer mehr TV-Produktionen. Bundesweit bekannt wurde ­ er 1969 durch die Fernsehserie „Percy Stuart“. Er spielte die Titelrolle des jungen amerikanischen Millionärs und charmanten Draufgängers. Die 52 jeweils 35-minütigen Folgen lockten durchschnittlich über 22 Millionen Zuschauer an die Bildschirme. „Dieser Erfolg war unglaublich und ist heutzutage kaum noch vorstellbar. Es war eine merkwürdige Erfahrung, das eigene Bild plötzlich auf den Titelseiten von Zeitschriften zu sehen, die ich vorher gar nicht kannte.“ Ein bisschen ärgert er sich immer noch, dass er den Titelsong „Percy Stuart, das ist unser Mann, ein Mann, ein Mann, der alles kann“ einfach auf Bitten des Dirigenten eingesungen hat, ohne einen Vertrag zu machen. „Ich war jung und naiv und hatte auch noch keine Agentur. 1,8 Millionen Singles wurden verkauft, und ich habe nie eine müde Mark bekommen.“
In Berlin und England hat er auch eine Stunt-Ausbildung gemacht. „Ich habe tatsächlich alles selbst gespielt ohne Double, von wilden Autofahrten bis zum Sprung aus großer Höhe ins Hamburger Hafenbecken, was nicht nur gefährlich war, sondern auch polizeilich strikt verboten. Besonders gefällt mir bis heute der Umgang mit Pferden. Einmal habe ich mich im Zirkus Krone in München bei ‚Stars in der Manege‘ auf einen bis dahin völlig unberittenen schwarzen Hengst gesetzt. Das wurde eine regelrechte Rodeo-Show, aber schließlich hat er mit mir ganz friedlich eine Galopp-Runde gedreht.“
Eine Pause hat der bekennende Workaholic eigentlich nie gemacht: Meis­tens abends Theater gespielt, tagsüber gedreht und manchmal noch nachts synchronisiert. In über 600 deutschen TV-Serienfolgen stand er mittlerweile vor der Kamera, lieh als Synchronsprecher zahllosen internationalen Kinostars in mehr als 1200 Aufnahmen seine markante Stimme und absolvierte 20 Theatertourneen. Er erhielt etliche Auszeichnungen, darunter Anfang der 1970er Jahre gleich dreimal den „Bravo-Otto“ und einen „Bambi“. „Bei der Preisverleihung saß ich neben Sophia ­Loren“, erzählt er fröhlich. Besonders stolz ist er auf den „Scharlih“, die älteste mit Karl May verbundene Auszeichnung, die er 2005 für seine Arbeit an Karl-May-­Hörspielen erhielt.
2022 wurde er in Essen zum Schauspieler des Jahres gekürt für seine Darstellung des topfitten Seniors Günter in der Komödie „Weiße Turnschuhe“ von René ­Heinersdorff. Womit wir endlich wieder beim Theater sind, das Wilcke immer als seine eigentliche Berufung ansah. „Die Anforderungen sind viel größer als beim Fernsehen. Man kann nicht einfach noch mal ansetzen oder was rausschneiden, sondern muss absolut präsent sein, verantwortungsvoll eine Figur entwickeln und einen dramatischen Bogen spannen. Gefühle kann ich nur dann wecken, wenn ich ganz ehrlich bin. Aufrichtigkeit ist der wichtigste Draht zum Publikum. Am schönsten ist es, wenn man die Zuschauer mit atmen hört und die gemeinsame Anwesenheit unmittelbar spürt. Jüngeren Kollegen sage ich immer, dass man nur am Theater wirklich wachsen kann. Es ist ein langer Prozess, bevor man sich selbst vertraut und so auch Vertrauen wecken kann. Das Wichtigste ist die Stimme, die man behandeln muss wie ein kostbares Instrument. Atemtechnik und Phonetik muss man ständig trainieren.“
Mit Headset arbeitet er auf der Bühne eher ungern, weil er als Sprachpurist den direkten Klang bevorzugt. Bei einer Open-Air-Inszenierung ist das jedoch unvermeidlich, zumal draußen im Bad Godesberger Stadtpark manche unvorhergesehenen Geräusche mitmischen und sich die Hörgewohnheiten des Publikums mit den Jahren verändert haben. Auch die Arbeit für Film und Fernsehen ist schnelllebiger und unpersönlicher geworden. „Trotzdem bin ich froh, immer noch dabei zu sein. Das Tolle ist, dass es – je älter man wird – immer neue Angebote von schönen Charakterrollen gibt. Ich habe einen großen Respekt vor Menschen, die das Risiko eingehen, neue Theaterstücke zu schreiben. Gerade gute Komödien erzählen viel über den Zustand unserer Gesellschaft.“ Deshalb engagiert sich Wilcke auch regelmäßig für soziale Projekte, wie z. B. die „Tafel“ in Wuppertal, wo er seit einigen Jahren seinen Lebensmittelpunkt hat. „Mein Vater war Leiter des Sozialamts in Bremen, das hat mich durchaus geprägt.“ Mitunter nimmt er sich gern die Zeit, in Seniorenheimen über seine Arbeit zu plaudern. „Es ist berührend, wenn man da dann plötzlich wieder der einstige Teenager-Schwarm ist. Filmfiguren können für immer jung bleiben, Theaterfiguren dürfen alt werden. Es ist ein wunderbares Privileg, dass ich als Schauspieler dauernd in Bewegung zwischen den Generationen bleiben darf.“
Wilckes Terminkalender ist folglich schon ziemlich voll. Für den Ruhestand auf einer Terrasse auf Mallorca ist er nämlich noch viel zu aktiv. Man kann sich also schon darauf freuen, ihn demnächst als Protagonisten einer neuen ­Komödie in Bonn wieder zu erleben.

Freitag, 01.09.2023

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