Hermes Helfricht - Kultur Nr. 180 - Oktober 2023

Erster Kapellmeister an der Oper Bonn - Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Hermes Helfricht

Wie er an den Namen des Götterboten aus der griechischen Mythologie kam? „Meine Eltern haben ein bisschen mit Alliterationen gespielt. ­Glücklicherweise ist dabei nichts Traditionelles wie ‚Hermann‘ oder ‚Heinrich‘ herausgekommen. Immerhin brauche ich so keinen Künstlernamen.“ Hermes Helfricht steckt gerade in den Endproben zu Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ (s. Kritik S. 3) und freut sich, dass die Oper Bonn ihm die musikalische Leitung der ersten Opernpremiere der Saison anvertraut hat. Mozarts „Zauberflöte“ und „Le nozze di Figaro“ hat er hier bereits dirigiert.
Seit der Spielzeit 2018/19 ist Helfricht als Erster Kapellmeister fest in Bonn engagiert.
Seinen Einstand gab er mit der Werkstatt-Produktion „Der Kaiser von Atlantis“ von Viktor Ullmann und leitete 2019 im Rahmen des Beethovenfestes ebenfalls in der Werkstatt das spirituelle Werk „Inifinito nero“ von Salvatore Sciarrino. Nach etlichen Dirigaten von Repertoire-Werken –
u. a. überließ ihm Generalmusikdirektor Dirk Kaftan die Leitung mehrerer Aufführungen von Wagners „Lohengrin“ – folgte im Frühjahr 2019 als eigene Einstudierung „Die Sache Makropulos“ von Leoš Janácek. Eine hervorragende, mit viel Lob bedachte Arbeit! „Die Musik ist großartig, und es war eine inspirierende Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Regisseur Christopher Alden.“ Das Repertoire des jungen Dirigenten ist mittlerweile beeindruckend umfangreich und reicht vom Barock bis zur zeitgenössischen Musik.
Geboren wurde Hermes Helfricht 1992 in Radebeul bei Dresden. Musik spielte in der Familie eine wichtige Rolle, auch wenn die Eltern keine Profi-Musiker sind. „Es gab eine große CD-Sammlung. Meine Mutter sang, Oma spielte Klavier, mein Vater war Journalist und nahm mich schon als Kind gelegentlich mit zu Opern-Proben. 1995 sah ich mit knapp vier Jahren im Fernsehen das Neujahrskonzert der Wiener Phil-harmoniker unter Zubin Mehta und war fasziniert davon, was man mit Gestik und Mimik am Pult eines großen Klangkörpers alles bewirken kann. Von da an war es um mich geschehen. Es wurde eine Art ‚Idée fixe‘, selbst ein Orchester zu leiten.“ Mit fünf Jahren bekam er regelmäßig Klavierunterricht und besuchte mit seinen Eltern oft Aufführungen in der Dresdner Semperoper und in der Staatsoperette. Im dritten Schuljahr wurde er in die Vorbereitungsklasse des Dresdner Kreuzchores aufgenommen und war dann Schüler des traditionsreichen Kreuzgymnasiums.
Zu den berühmten Schülern der Kreuzschule gehörte u. a. auch Richard Wagner, mit dem Helfricht ein besonderes Erlebnis verbindet. 2005 besuchte er mit seiner Mutter eine „Tristan“-Aufführung in Bayreuth. „Jahrelang hatte sie sich um Karten bemüht … Ehrlich gesagt, konnte ich dem Bühnengeschehen (es muss die Marthaler-Inszenierung gewesen sein) nicht viel abgewinnen, aber die Musik entfaltete einen unglaublichen Sog und prägte meine Vorstellung vom Operngesang im Zusammenklang mit dem Orchester.“ Selbst auf der Bühne gesungen hatte er da schon den Zweiten und Dritten Knaben in der „Zauberflöte“ in Berlin an der Komischen Oper, was ihm zwar großen Spaß machte, aber seinen Wunsch, Dirigent zu werden, noch bestärkte.
Bis zum Abitur war Helfricht Mitglied im Kreuzchor und wohnte in den ersten Jahren im Internat. „Die Stundenpläne waren speziell auf die musikalischen Verpflichtungen abgestimmt. Wir hatten fast jeden Tag drei Stunden Chorproben und an den Wochen­enden meistens A-Cappella-Konzerte oder größere Auftritte mit Orchester. Ge-gen das Heimweh half das gemeinsame Fußballspielen. Auch die großen Auslands-tourneen – und das in der regulären Schulzeit! – wirkten gemeinschaftsbildend, ganz abgesehen von den tollen neuen Erfahrungen“.
Im Stimmbruch spielte er wieder vermehrt Tennis, den Sport betrieb er bis zum 9. Lebensjahr auf hohem Niveau. Aber all das erforderliche Fitnesstraining für eine Profikarriere schreckte ihn ab, so dass es bis heute eines seiner Hobbies geblieben ist. Er lernte jedoch Klarinette, weil dieses Instrument viel mit der menschlichen Stimme zu tun hat, und machte einen Ausflug zum Orgelspiel. Beim Kreuzchor wurde er Chorpräfekt und übernahm regelmäßig Dirigieraufgaben. „Die Bandbreite war groß und reichte von der traditionellen Sakralmusik bis zu eigens für den Chor komponierten Auftragswerken.“ An der Berliner Hochschule der Künste studierte er dann Orchesterdirigieren sowie im Nebenfach Klavier. Außerdem spielte er als Pianist in der Kammermusikklasse des Artemis Quartetts und wurde, gefördert von Peter Schreier, auch ein gefragter Liedbegleiter. Kammermusik ist ihm wichtig, obwohl er selbst kein Streichinstrument spielt. „Es geht um das gemeinsame Musizieren und die unmittelbare Kommunikation zwischen den verschiedenen Stimmen. Man braucht diese Sensibilisierung auch am Pult eines großen Orchesters.“
2013 wurde Helfricht damals jüngster Stipendiat des ­Dirigentenforums des Deutschen Musikrats und besuchte ­Meisterkurse bei berühmten Maestri. Im selben Jahr debütierte er beim Bruckner Orchester Linz und setzte die Zusammenarbeit bis 2016 fort. Außerdem arbeitete er mit zahlreichen renommierten Orchestern in Deutschland und Europa. Direkt nach dem Abschluss seines Studiums wurde er als Kapellmeister ans Theater Erfurt engagiert. 2016 debütierte er mit ­„Eugen Onegin“ (2024 wird er diese Oper an der Bonner Oper leiten) am Theater St. Gallen und wurde dort sofort als Erster Kapellmeister verpflichtet. Einladungen zu Sinfonie-Konzerten führten ihn bis nach Qatar. Als sein Vertrag in der Schweiz auslief, bewarb er sich in Bonn und fühlt sich nun schon mehr als fünf Jahre sehr wohl am Rhein. Inzwischen erhielt er mehrere international renommierte Auszeichnungen.
In der Corona-Zeit machte er wieder viel Kammermusik. Besonders spannend war 2020 die Erarbeitung von Cavallis barocker Oper „La Calisto“, die ja unter den Pandemie-Bedingungen stark gekürzt werden musste. „In den Sommerferien habe ich verschiedene Ausgaben verglichen und per Hand eine Neufassung erstellt. Unsere Bibliothekarin hat dann alles digitalisiert.“ Die Premiere wurde ein großer Erfolg. Ebenso wie Clemens von Franckensteins fast vergessene Oper „Li-Tai-Pe“ am Ende der Spielzeit 2021/22. Auch hier musste viel aus altem Orchestermaterial rekonstruiert werden. „Es war eine spannende und lehrreiche Forschungsarbeit. Wir können unserem viel zu früh verstorbenen Operndirektor Andreas K.W. Meyer dankbar sein für seine Wiederentdeckung von ­Meisterwerken des frühen 20. Jahrhunderts“. Helfricht freut sich schon auf die Wiederaufnahme im kommenden November. „Das Werk hat eine ganz eigene Tonsprache und ist klug für die Stimmen komponiert.“ Umfangreiche Vorarbeiten erforderte auch Alberto Franchettis Oper ­„Asrael“, die in der Spielzeit 2022/23 (in der Regie von Christopher Alden in der Reihe „Fokus ’33“) herauskam. Im November wird Helfricht die Wiederaufnahme von „Madama Butterfly“ von Franchettis berühmtem Konkurrenten Puccini leiten.
In der Saison 2021/22 leitete Helfricht mit großem Erfolg Verdis „Don Carlo“, 2022/23 konnte er endlich auch mal sein Faible für die Operette demonstrieren mit der musikalischen Leitung von Lehárs „Lustiger Witwe“.
Große sinfonische Konzerte dirigiert er außerdem gern und regelmäßig, obwohl sein Schwerpunkt aktuell bei der Oper liegt. Er liebt das Zusammenspiel aller auf der Bühne und im Graben. Dennoch findet er es schön, sich mit einem Orchester mal ganz auf die Musik zu konzentrieren und nicht mit wechselnden Besetzungen zu proben wie beim alltäglichen Opernbetrieb. Den klassischen Taktstock benutzt er immer: „Für die Distanz zwischen Bühne und dunklem Orchestergraben hilft er einfach zur besseren Sichtbarkeit.“
Sein Terminkalender ist derzeit ziemlich voll. Erst mal steht die Premiere von Mozarts „Entführung“ an. Am 11. November wird er am Theater Hagen zum ersten Mal Mozarts „Don Giovanni“ dirigieren. Anfang März steht die Premiere von Tschaikowskijs „Eugen Onegin“ auf seinem Programm, gegen Ende dieser Spielzeit dann noch die Premiere des Musiktheaters „Columbus“ von Werner Egk, womit sich ein Bogen spannt zu der Reihe der Wiederentdeckungen. Als willkommene Abwechslung empfindet er, dass in Konzerten immer mehr Werke von Komponistinnen auftauchen und dass auch zeitgenössischen Werken mehr Platz eingeräumt wird. „Neue Opern in Auftrag zu geben, ist allerdings – auch finanziell – ein großer Aufwand. Manchmal freuen sich alle wieder auf ‚traditionelles‘ Repertoire.“ Neugierig unterwegs bleibt Hermes ­Helfricht ohnehin.

Freitag, 01.12.2023

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